Bürgerversammlung Lengdorf 2022, Neuverschuldung und die Kreisumlage

Lengdorf, Oktober 2022 – Jährliche Bürgerversammlung der Gemeinde Lengdorf

Die mittelmäßig besuchte Bürgerversammlung wurde der in diesem Jahr deutlich besser aufbereiteten und vorgetragenen Präsentation der Bürgermeisterin Michèle Forstmaier (FW) nicht gerecht.

Notwendige und sinnvolle Investitionen und die damit verbundene Kreditaufnahme geben Lengdorf mit dem höchsten Verschuldungsgrad im Kreis leider die rote Laterne in die Hand. Die Gründe sind jedoch vornehmlich in der Vergangenheit zu suchen. Sanierungsstau, A94, verschobener Kindergartenausbau, Radwegeausbau in Eigeninitiative statt wie eigentlich angebracht durch den Kreis und fehlende Investitionen in künftige Einnahmen, um nur einige zu nennen.

Zudem erhöht der Landkreis noch seine Umlageforderung (mit die höchste in Bayern), obwohl er selbst einen der niedrigsten Schuldenstände Bayerns hat. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass hier die Kreispolitik wahlkampfträchtig Prestigeobjekte und Eigeninteressen auf Kosten der Gemeinden verfolgt.

Als der Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) auf das Fehlen eines Finanzausgleichsgesetzes (Bsp. FAG Brandenburg), welches die Kreisumlage senken könnte, angesprochen wurde, scholt er uns uninformiert und antwortete wie ein Berufspolitiker mit dem kommunalen Finanzausgleich, faktisch zwar noch korrekt, im Bezug aber falsch. -> Fact-Check 1

Seine Aussage, dass viele Gemeinden in Brandenburg sich (zwangsverwaltet) nicht mal mehr alleine einen Bleistift beschaffen könnten ist ebenso falsch. -> Fact-Check 2

Auch die Behauptung des Landrats, Lengdorf hätte 3 Million aus dem kommunalen Finanzausgleich erhalten, war schlicht falsch. Tatsächlich hat Lengdorf nur etwas mehr als ein Zehntel dieser Summe erhalten, wovon wiederum jedoch mehr als die Hälfte wieder an den Kreis fließt. -> Fact-Check 3

Den Gemeinderat führte er vor und meinte, man könne ja die Grund- und Gewerbesteuer erhöhen um seine Schulden zu senken. Ob das unterm Strich wirklich sinnvoll und dem Ausbau des Gewerbegebietes dienlich ist muss bezweifelt werden. Abgesehen davon hat er auch mit diesem Vorschlag in die Irre geführt. -> Fact-Check 4

Seine Ermahnung an die Bürgermeisterin, man müsse ja Flächen (wie das Gewerbegebiet) nicht selbst erschließen, sondern sollte dies privaten Investoren überlassen, war mindestens unangemessen, wenn aus Sicht moderner Kommunalentwicklung nicht ebenso schlicht falsch. Wohin so was führt haben wir ja gesehen. Letztlich kann die Gemeinde dabei draufzahlen, verliert die Kontrolle und generiert auch künftig keine eigenen Einnahmen. -> Fact-Check 5

Vor dem Hintergrund, dass so mit unseren Gemeindegeldern wahlkampfträchtige Prestigeobjekt wie z.B. ein Kreiskrankenhaus mit Erhaltung der Geburtenstation (-> Fact-Check 6), die zweite IT-Ausstattung seiner Kreisschulen oder ein neues Landratsamt finanziert werden, hinterlässt einen schalen Geschmack. Die medizinische Versorgung ist zwar ein immer wirksames Tränendrüsenargument, ist aber über die Grundversorgung hinaus ein Luxus, den man sich auch leisten können muss. Die Gemeinden können mit ihren knappen Finanzen nicht das Gesundheitswesen sanieren.
Und unsere Grundschule erhält dabei nicht einmal eine ordentliche Grundausstattung mit PCs für die Klassenzimmern, sondern muss sich mit Notlösungen wie Dockingstations und fremdbeschafften Laptops behelfen. Ich freue mich auch für das Anne-Frank-Gymnasium und den 36 Mio. Neubau, stelle aber fest, dass unsere Schulturnhalle seit und noch auf Monate unbenutzbar ist, da das Geld zur Sanierung eben nicht so locker wie beim Kreis sitzt.

Man möchte im Kreis selbst keine Kredite aufnehmen, die man ja zurückzahlen müsste, also lastet man das Problem auf die Gemeinden ab und nimmt lieber in Kauf, diese auch mit guten Ratschlägen dann in die Schuldenfalle zu treiben. So raubt man den Gemeinden ihren Handlungsspielraum.

Obwohl der Gemeinderat in Sachen angemessener Kreisumlage lobenswerterweise aktiv geworden ist und sich an die anderen Kreisgemeinden gewendet hatte, blieb er trotz dieser seltenen Gelegenheit bis auf Hermine Spiegl (LOS-SPD) leider stumm.
Die Bürgermeisterin hatte zuvor noch standhaft die Situation Lengdorfs vertreten, war ohne diesen Rückhalt dann letztlich aber allein gelassen.

Mein Fazit:
Ich halte die angeführten Investitionen (z.B. Gewerbegebiet, Breitbandnetz, schulnahes Flächenpotential) für viel zu spät, aber absolut sinnvoll und immer noch zu wenig. Die damit verbundenen kurzfristigen Verbindlichkeiten sind angemessen und eine Frage der Darstellung.
Nur so hat Lengdorf eine Chance der Schuldenfalle zu entkommen.
Leider gerät durch diese Finanzmisere die soziale und ökologische Entwicklung fast völlig in den Hintergrund.
Der Besuch des Landrats Bayerstorfer war mindestens überflüssig. Sein anfänglicher Exkurs über Flüchtlinge aus der Ukraine und über Windräder irritierte und sein Sachvortrag zur Finanzsituation unnütz und in nahezu allen Punkten falsch. Würde man nur Irrtum annehmen, dann wäre in dieser Breite die Eignung für das Amt zumindest fraglich, in jedem anderen Fall jedoch auch.

Darüber hinaus hätte ich mir mehr Diskussionsbeteiligung und Neugierde der Anwesenden gewünscht, sonst reicht künftig auch eine Videoaufzeichnung.

Autor: Jens Gloede

Fact-Check 1
Das FAG (Bsp. Brandenburg) regelt in Art 17a z.B. das Gegenteil des angeführten kommunalen Finanzausgleichs, nämlich eine teilweise Abschöpfung von Übergewinnen zugunsten einer Senkung der Kreisumlage. Der normale „kommunalen Finanzausgleichs“ ist auch kein Verdienst Bayerns, sondern regelt bundesweit die Zuteilungen aus „Allgemeinen Steuerverbund“ an die Gemeinden.
(Quellen: https://bravors.brandenburg.de/gesetze/bbgfag#17a § 17a BbgFAG)

Fact-Check 2
Tatsächlich steht Bayern in der Tabelle der durschnittlichen gemeindlichen Schuldenhöhe an zweithöchster, Brandenburg sogar erst an letzter Stelle
(Quelle: Statista). 

Fact-Check 3
Lengdorf hat aus dem kommunalen Finanzausgleich rund 430.000 Euro erhalten. Mit den Gemeiden erhält der Kreis daraus jedoch zuvor jedoch schon mehr als 1/3 und von dem Anteil der Kommunen holt sich der Kreis dann nochmal über 51% zurück.
(Quellen: https://www.stmi.bayern.de/kub/landesleistungen/finanzausgleich/index.php  Bayerisches Staatsministerium des Inneren)

Fact-Check 4
Lengdorf liegt bereits über dem Nivellierungshebesatz von 310. Alles darüber hinaus fließt nur noch zu 10% in die Steuerkraftzahlen der Gemeinde ein, landet also nicht 1:1 bei in den Steuereinnahmen wie angedeutet, sondern kann der Ortsentwicklung sogar schaden.   
(Quellen: Art. 4 Abs. 2 BayFAG)

Fact-Check 5
Wir haben anhand des neuen Gewerbegebietes erfahren müssen, was bei unkontrollierter Abgabe an einen privaten Einzelinvestor droht und wie daraus statt eines finanziellen Nutzens eine Belastung für die Gemeinde werden kann. Die aktuelle Entwicklung erfolgt inzwischen unter Vergabe über Erbbaupacht, wobei sie weitläufig die Kontrolle behält und der Wert der Assets im Gemeindehaushalt verbleiben.
(Quellen: Onlinesuche nach „Erbbaurecht Kommune Stadtplanung Chance“)

Fact-Check 6
Aus dem nördlichen Landkreis sind Landshut und Freising oft genauso gut und teilweise schneller als Erding erreichbar. Aus dem Süden ist die zweitgrößte Geburtsklinik Deutschlands (RKK München) mit nochmals deutlich besserer Versorgung im Schnitt nur 15 Minuten weiter entfernt.
Subjektiv: Zur Geburt meiner beiden Kinder hätte die Zeit sogar leicht gereicht um bis zur Charité nach Berlin zu fahren (Geburtsstärkstes Haus Deutschlands).
(Quelle: Routing Tests Navi/Maps)

Anmerkung: Die mit Namen gekennzeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die Ansicht der Wählergruppe wieder, sondern sind zunächst die persönliche Meinung des Autors.